Forensischer Zahnarzt

Zahnmedizinisches Fachwissen im Dienst von Recht und Gerechtigkeit
Als forensischer Zahnarzt unterstützt Prof. Dr. Andreas Olze Rechtsmedizin, Polizei und Justiz – mit Präzision, Erfahrung und der mentalen Stärke, die diese besondere Aufgabe erfordert.

Erfahren Sie mehr über die Arbeit als forensischer Zahnarzt und ihre Herausforderungen.
Herr Professor Olze, wie sind Sie forensischer Zahnarzt geworden?
Das hat sich zufällig ergeben. Mein ehemaliger Chef in der Abteilung für konservierende Zahnheilkunde der Charité, Herr Professor Zuhrt, war seit einem Flugzeugabsturz in den Siebzigerjahren in Identifizierungsfragen für das Institut für Rechtsmedizin der Charité tätig. Zuerst übernahm ich eine Urlaubsvertretung meines Chefs im Sommer 1995. In diesem Sommer ging es sehr turbulent zu. Meine erste Leiche war ein unbekannter Toter, welcher bei sommerlichen Temperaturen ca. 14 Wochen in seiner Wohnung gelegen hatte. Dann kamen auch noch fünf Vietnamesen dazu, die bei Bandenstreitigkeiten ermordet worden waren. Später, etwa ab 1997, stieg dann auch die Anzahl der Gutachtenbeauftragungen im Rahmen von Altersschätzungsverfahren Lebender im Strafverfahren stark an.
Was sind die Herausforderungen, vor denen Sie als forensischer Zahnarzt stehen?
Man muss eine gewisse mentale Stärke mitbringen, „leichenfest“ sein und visuelle und Geruchseindrücke aushalten und verarbeiten können. Bei der Altersschätzung Lebender im Zivil- und Strafverfahren müssen emotionale Belastungen ertragen und verarbeitet werden. Darüber hinaus kommt es in allen Bereichen auf überdurchschnittliche Genauigkeit an. Bei der Lebensaltersschätzung und Identifizierung unbekannter Toter bewirken geringste Abweichungen in den Befunden den – unberechtigten – Ausschluss der Identität, ungenaue Messergebnisse führen zu erheblichen Fehleinschätzungen hinsichtlich des vermuteten Lebensalters. Auch damit würde eine positive Identifizierung erschwert. Bei der Lebensaltersschätzung von Personen im Strafverfahren führen Messwertabweichungen schnell zur Feststellung einer nicht vorhandenen Strafmündigkeit oder zur Anwendbarkeit des Erwachsenenstrafrechts. Für die Betroffenen kann dies schnell zu höheren Haftstrafen führen.
Wie läuft ein typischer Fall ab? Gibt es überhaupt typische Fälle?
DEN typischen Fall gibt es eigentlich nicht. Bei der Identifikation unbekannter Toter geht es jedoch immer um die Erhebung der postmortalen Zahnbefunde. Dazu müssen, wenn die betreffende Leiche weitgehende postmortale Veränderungen aufweist, meist die Kiefer abgesetzt, d.h. herausgetrennt werden. Bezüglich des Methodenumfangs bei der Altersschätzung Lebender entscheidet der zuständige Richter über die einzusetzenden Methoden, wie Röntgen oder MRT. Insbesondere der Entwicklungsstand der Weisheitszähne erlaubt Rückschlüsse über das erreichte Lebensalter.
Ist Ihnen ein bestimmter Fall besonders im Gedächtnis geblieben?
Mir ist der Fall der Kristina Hani besonders im Gedächtnis geblieben. Sie wurde nur 14 Jahre alt. Ein Drogendealer hat sie getötet, in einen Koffer gesteckt, mit Benzin übergossen und anschließend angezündet.
Wie oft werden Sie von der Gerichtsmedizin angefordert?
Mittlerweile habe ich mein Engagement in der Rechtsmedizin stark reduziert und werde noch einige Male im Jahr im Rahmen der Identifizierung unbekannter Toter tätig. Zuvor habe ich ca. 100 bis 120 Gutachten jährlich zur Altersschätzung Lebender gefertigt.
Mit wem arbeiten Sie bei der Klärung zusammen?
In erster Linie mit dem jeweiligen obduzierenden Rechtsmediziner, aber natürlich auch mit der Polizei und den Justizbehörden.
Was bedeutet der Begriff „dental fingerprinting / dentaler Fingerabdruck“?
Der dentale Fingerprint bezeichnet das einzigartige Muster eines individuellen Gebisses. Dieses Muster ist für jeden Menschen so charakteristisch wie ein Fingerabdruck und ermöglicht – selbst bei fortgeschrittener Zersetzung – eine eindeutige Identifizierung von Individuen. So lässt sich über das Gebiss viel über einen Menschen aussagen: Alter, Geschlecht, Gewohnheiten. Sogar gewissen Grenzen das Lebensalter können über die Zähne ermittelt werden. Auch Ernährungsgewohnheiten lassen sich an den Zähnen ablesen. Art und Umfang der festgestellten zahnärztlichen Versorgungen lassen Rückschlüsse auf den sozialen Status und manchmal sogar auf die Herkunftsregion zu. Wer Zähne lesen kann, der liest auch Teile der Biographie eines Menschen.

